Bibelstellen – anders gelesen

Lesben, Schwule und Bisexuelle in Kirche und Gesellschaft

Die Schweizer Bischöfe untermauern ihr Nein zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare unter anderem mit Bibelstellen. Demgegenüber plädiert Silvia Schroer dafür, die Bibel besser zu lesen – und liefert eine schöpfungstheologische Begründung der Würde von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.
VON RENATE METZGER-BREITENFELLNER

Für den Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF) ist klar: Homosexualität ist eine gesunde und unveränderbare Variante von Sexualität, und gleichgeschlechtliche Beziehungen sind Liebesbeziehungen, zu denen selbstverständlich auch Sexualität gehört. Deshalb stimmt der SKF der Einführung einer Rechtsform für gleichgeschlechtlich orientierte Partnerschaften zu. Das Papier zu diesem Thema löste bei der Schweizerischen Bischofskonferenz wenig Freude aus. Diese hat jetzt ihre Haltung «zur Frage der kirchlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und der kirchlichen Anstellung von Personen, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben» offen gelegt. Fazit des achtseitigen Elaborats: Homosexuelle sind wertvolle Menschen – aber nur, solange sie ihre Sexualität nicht ausleben. Homosexuelle Partnerschaften könnten, so der Schluss der Bischöfe, nicht gesegnet werden, und Personen, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben, seien für den kirchlichen Verkündigungsdienst nicht geeignet. Weil sie «durch die Lebens- und Gemeinschaftsform selbst, die objektiv nicht der von Gott gesetzten Ordnung entspricht», ein «falsches Zeugnis» geben.

Gegen Blackout

In den «biblischen und theologischen Vorüberlegungen» zum Thema «Homosexualität» zitieren die Bischöfe etliche Bibelstellen und betonen, dass diese «in ihrem Gewicht und in ihrer Verbindlichkeit» nach wie vor Bedeutung hätten. Silvia Schroer, Professorin für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Universität Bern, interpretierte an der SKF-Tagung in Olten zum Thema «Lesben, Schwule und Bisexuelle in Kirche und Gesellschaft» dieselben biblischen Texte. Mit völlig anderem Ergebnis. «Solange unter Herbeiziehung biblischer Texte heute Homosexuelle diskriminiert werden, ist es geradezu geboten, biblische Texte in gesellschaftliche und kirchliche Gegenrede einzubinden», sagt sie, und dass die Tabuisierung homoerotischer Beziehungen zur Verdrängung entsprechender Wahrnehmungen auch im Bereich der Exegese und beim Lesen biblischer Texte führe. So zum Beispiel bei den alttestamentlichen Erzählungen von Noomi und Rut und von Saul, David und Jonatan. Die erotische Qualität der Beziehung zwischen David und Jonatan könne im strengsten Sinne nicht nachgewiesen werden, sagte Schroer. «Die Gründe dafür sind aber stark, während die Gründe dagegen schwach sind.» Denn: «Davids Leichenlied hat eindeutig erotische Töne, die durch Parallelen zum Hohenlied untermauert werden. Sie ganz wegzudiskutieren, gleicht einem akrobatischen Akt.» Schroer geht es bei ihrer exegetischen Arbeit denn auch darum, «gesellschaftsideologisch bedingte Blackouts der Bibelwissenschaft aufzuzeigen und zu korrigieren.» Deshalb will sie «den Raum öffnen für das, was begründet denkbar ist, solange nicht das Gegenteil erwiesen ist».

Paulus kann man widersprechen

Den Vergewaltigungsgeschichten in den Büchern Genesis, Kapitel 19, und Richter, Kapitel 19, sprach Schroer «ausdrücklich jede Relevanz für die Frage nach erotischen oder anderen Männerfreundschaften» ab. «Hier versuchen Männer durch einen sexuellen Akt einen anderen Mann in die Rolle einer Frau, das heisst nach antiker Codierung in die Unterwerfung, zu zwingen, um ihn so mit brutaler Gewalt als nicht männlich zu brandmarken.» Auch die von den Bischöfen zitierten Gesetzesbestimmungen im Buch Leviticus 18,22 («Einem Mann darfst du nicht beiwohnen, wie man einer Frau beiwohnt: ein Gräuel wäre dies») und 20,13 («Ein Mann, der einem Mann beiwohnt, wie man einer Frau beiwohnt: einen Gräuel haben sie begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut komme auf sie!») richten sich, so die Bibelwissenschafterin, «mit grosser Wahrscheinlichkeit mindestens ursprünglich gegen sexuelle Gewalttaten von freien israelitischen Männern an anderen Männern, wobei das Verbrechen ausdrücklich an dem Tatbestand des [wie man einer Frau beiwohnt] festgemacht wird».

Silvia Schroer betonte, dass es darum gehe, biblische Texte «zu dekonstruieren, wo sie uns ohnmächtig machen, und mit Fantasie befreiend auszulegen, wo sie uns neu ermächtigen». So sei es nicht möglich, die Römerbriefstelle 1,24-32 und die Passage des ersten Korintherbriefs (1 Kot 6,9) – auch sie finden sich im Papier der Bischöfe – als «Wort Gottes» zu akzeptieren. Paulus, nicht Gott selbst, habe hier gleichgeschlechtliche Sexualität als naturwidrig bezeichnet – und dem könne widersprochen werden. Gründe für die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Liebe sieht Schroer bei Paulus in einer Aversion gegen die Unordnung in den Geschlechterverhältnissen einerseits und in der Aversion gegen die römische Gesellschaft mit dem ausschweifenden Leben ihrer Oberschicht andererseits. Ihr Fazit: «Paulus macht in seiner Rede gegen gleichgeschlechtliche Sexualität Voraussetzungen, die wir nicht mehr teilen können. Dann können wir auch seine Folgerungen nicht teilen.»

Neues Schöpfungsverständnis

Die Alttestamentlerin ermutigte gleichgeschlechtlich Liebende, die Bibel aufmerksam zu lesen. Zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte. In Gen 1 sei das Menschsein zwar sehr auf Fruchtbarkeit hin ausgelegt, in Gen 2 jedoch liege der eigentliche Sinn der Erschaffung der Geschlechter darin, die Einsamkeit zu verhindern. «Von diesem Ziel her kann heute auch die Würde einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft schöpfüngstheologisch begründet werden.»

Erschienen im «aufbruch» Nr. 8/2002

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des «aufbruchs», Zeitung für Religion und Gesellschaft.

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