Dornenreicher Weg ins Pfarramt

Erfahrungen lesbischer Pfarrerinnen und schwuler Pfarrer mit Kirchenbehörden und -gemeinden

Prüfstein für die Toleranz und Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Christen in der Kirche ist die Einstellung der Kirchgemeinden und ihrer Behörden gegenüber lesbischen Mitarbeiterinnen und schwulen Mitarbeitern. Die jüngst erfolgte Nichtwahl eines hervorragend qualifizierten Theologinnenpaares zeigt: Obwohl sich die evangelisch-reformierten Landeskirchen gegenüber anderen Lebensformen öffnen, haben es gleichgeschlechtlich orientierte kirchliche Mitarbeiter nach wie vor schwer, akzeptiert zu werden. Bekennen sie ihre Homosexualität bereits bei der Stellenbewerbung, haben sie kaum Chancen, sich vorstellen zu dürfen.

«Als frisch ordinierte Theologinnen und Theologen verschiedener Kantonalkirchen mussten wir feststellen, dass homosexuelle Theologinnen und Theologen nur mit Mühe von den Gemeinden in den kirchlichen Dienst aufgenommen werden», schrieben evangelische Theologinnen und Theologen kürzlich in einem Leserbrief. Grund dieser Aktion: die Nichtwahl eines Theologinnenpaares trotz von der Pfarrwahlkommission attestierter hervorragender Qualifikationen. Sie hätten nicht gedacht, dass ihre Beziehung bei der Stellensuche zu einem Problem werden könnte, erzählen sie. Solange sie sich im universitären Bereich bewegten, hätten sie keinerlei Diskriminierung erlebt.

Aufgeklärte Universität

Unter dem Titel «Lust, Angst und Provokation» fand an der Universität Basel eine interdisziplinäre Ringvorlesung zum Thema Homosexualität statt, an der sich auch die evangelisch-theologische Fakultät beteiligte. Für die Theologin F. S., lange Zeit in evangelikalen Kreisen engagiert, bedeutete der Besuch dieser Veranstaltungen einen Moment der Enttabuisierung des Themas. Das ermöglichte ihr, zu ihrer lesbischen Identität zu stehen. Dass sie und ihre Partnerin nun, nach einem auf dem zweiten Bildungsweg abgeschlossenen Studium mit einer reichen Berufserfahrung, keine Stelle erhalten, ist für sie und andere Berufskollegen nicht verständlich. «Ich habe nicht den Eindruck, dass wir aus theologischen Gründen nicht angestellt werden,» meint die Theologin G. J. Offenbar seien es aber evangelikale Kirchenpfleger, die, obwohl in der Landeskirche eine Minderheit, laut Kritik übten und offenere Meinungen übertönten, denkt G. J. weiter.

«Sowenig die Natur- und Humanwissenschaften die Entstehung der Homosexualität eindeutig erklären können, so sehr stimmen die Fachleute darin überein: Ein junger Mensch wird nicht durch homosexuell.»

Stellungnahme der reformierten Kirche des Kantons St. Gallen

Ängste

Pfarrer A. G. outete sich erst einige Zeit nach seinem Amtsantritt. Er und sein Partner hätten zwar Kritik erfahren. Überraschenderweise hätten jedoch die positiven Reaktionen überwogen. Nachdem bekannt geworden war, dass er homosexuell sei, hätten sich einige Leute auch aus der unmittelbaren Umgebung ihm gegenüber geoutet. Man durfte plötzlich mit einem Pfarrer darüber reden, und er verstand einen, weil er selbst betroffen war. Heute sei es selbstverständlich, dass sein Partner in der Kirchgemeinde mitarbeite, bei den Altersnachmittagen helfe und in die Altersferien mitkomme. Selten komme es vor, dass Mütter A. G. sagten, sie hätten Angst, ihre Kinder zu ihm in die kirchliche Unterweisung zu schicken. Er frage dann zurück, ob sie denn keine Angst hätten, wenn ihre Töchter den Unterricht bei einem heterosexuellen Pfarrer besuchten.

«Die reformierte Kirche tut auf.» Davon ist Pfarrerin B. N. überzeugt. Nachdem sie eine Stelle wegen ihrer Frauenbeziehung aufgeben musste, wurde sie nach einer Stellvertretung in einer baselländischen Gemeinde von dieser gewählt. Im Bewerbungsgespräch habe sie sich geoutet. Die Pfarrwahlkommission habe sich für sie eingesetzt. Vermehrt kämen Leute aus der Region zu ihr, die Interesse hätten, in der Kirche mitzuleben, und ihren Platz suchten. Einen Grund, warum Kirchgemeinden zögern, Homosexuelle ins Pfarramt zu wählen, sieht B. N. darin, dass Gegner mit dem Argument, die Jugend würde verführt, Propaganda machten. «

Mit freundlicher Genehmigung der «reformierten presse» Wochenzeitung der Evangelisch-Reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz www.ref.ch/presse

Erschienen in der Doppelnummer 30/31 vom 24. Juli 1998