Christliche Homosexuelle: «Die Kirche braucht uns»

Rund 20 Frauen und 60 Männer aus 16 europäischen Ländern haben sich vom 9. bis zum 12. Mai zur zwanzigsten Jahrestagung des europäischen Forums christlicher Schwulen- und Lesbengruppen im reformierten Tagungszentrum Leuenberg (BL) getroffen.

Der Festgottesdienst zum 20-jährigen Bestehen des Forums christlicher Schwulen- und Lesbengruppen hat am Freitag in der Basler Elisabethenkirche stattgefunden. Grussworte kamen unter anderem vom reformierten Basler Kirchenratspräsidenten Georg Vischer und vom Basler Grossratspräsidenten Ernst-Ulrich Katzenstein. Die römisch-katholische Theologin der Offenen Kirche Elisabethen, Eva Südbeck-Baur, wünschte sich eine deutlichere Sichtbarkeit von Menschen mit homosexueller Orientierung in den etablierten Kirchen, die dadurch «bereichert werden und ein Stück weit genesen» könnten. Ähnlich der Forum-Kopräsident Arthur Thiry: «Nicht wir brauchen die Kirche, die Kirche braucht uns.»

In 20 Jahren viel erreicht

Von verschiedenen Seiten wurde hervorgehoben, dass in den letzten zwanzig Jahren viel erreicht worden sei. Für das kommende Jahr sei eine Kontaktaufnahme zur Konferenz Europäischer Kirchen geplant, die dem Forum einen Mitglied- oder Beobachterstatus ermöglichen solle. Fünf Gruppen wurden als neue Mitglieder des Forums aufgenommen.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Tagung kamen aus der Schweiz, der Slowakei, aus Italien, Deutschland und Russland. Sie waren reformiert, lutherisch, römisch-katholisch, anglikanisch, orthodox oder gehörten zu einer Freikirche. Alle gehörten zu einer der 38 Gruppen homosexueller Christen und Christinnen des europäischen Forums. Sie wollten ihren christlichen Glauben leben, erklärten sie, ohne ihre sexuelle Orientierung zu verleugnen.

Weiter kämpfen

Das Thema der Begegnung hiess Kampf und Kontemplation. Dabei gab es von Land zu Land und von Konfession zu Konfession Unterschiede: Während in den protestantischen Volkskirchen von Mittel-, Nord- und Westeuropa Homosexualität bei nichtangestellten Mitgliedern weitgehend geduldet wird, lehnen Orthodoxe und evangelikale Freikirchen sie ab und drohen mit Kirchenausschluss. Oder sie versprechen Heilung durch Gebet und Therapie.

Die auf dem Leuenberg vertretenen Gruppen zeigten sich so unterschiedlich wie die Situation ihrer Mitglieder: Manche sind in erster Linie Gottesdienstgemeinden wie die in angelsächsischen Ländern stark vertretene Metropolitan Community Church oder die gastgebende Lesbische und Schwule Basiskirche Basel (LSBK). Das deutsche Maria-und-Martha-Netzwerk ist eine Anlaufstelle für lesbische kirchliche Mitarbeiterinnen. Das aus der LSBK hervorgegangene Projekt Zwischenraum ist für Menschen mit evangelikal-charismatischem Hintergrund gedacht: Diese haben festgestellt, dass sie ihre Orientierung nicht ablegen oder heilen können, sich aber mit dem Glauben auseinandersetzen wollen.

Die jährlichen Treffen des vor zwanzig Jahren von dem französischen Priester Emile Letertre gegründeten Forums sollen die Begegnung zwischen diesen verschiedenen Gruppierungen fördern und gemeinsame Aktionen ermöglichen. Dieses Jahr ging es unter anderem um die EU-Richtlinien gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz. Diese verbieten es Arbeitgebern, Arbeitnehmer auf Grund ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Eine Ausnahme gilt dagegen für religiöse Organisationen: Sie dürfen aus «Gewissensgründen» eine Gleichbehandlung von Homosexuellen ablehnen.

Austausch und Gottesdienste

Das Forum verfasste einen Brief an Bundesrätin Ruth Metzler mit der Bitte, die Stellungnahmen der Schweizer Homosexuellenverbände zur vorgeschlagenen Partnerschaftsregelung für gleichgeschlechtliche Paare verstärkt zu berücksichtigen. Die Frauenvorkonferenz des Forums beantragte ausserdem finanzielle Unterstützung für ein Buchprojekt, in dem Lebens-Zeugnisse von lesbischen christlichen Frauen aus Europa veröffentlicht werden sollen.

Neben Austausch und Aktion prägten Gottesdienste und Andachten das Treffen. Es wurde auch der Wunsch geäussert, dass «wir den dreissigsten Geburtstag des Forums nicht mehr feiern, weil es dann nicht mehr gebraucht wird». So weit ist es noch nicht: Das nächste Treffen findet im Frühjahr 2003 in den Niederlanden statt.

Marianne Weymann in der „Reformierten Presse“ 17.5.2002