Heterosexuelle Liebe

Die folgende kleine Studie ist entstanden anlässlich eines Besuchs in einem Pfarrkonvent. Thema war die Schrift der rheinischen Kirche zur «Homosexuellen Liebe».

Was über Heterosexualität in der Bibel steht – und was nicht in ihr steht

Schon bei einer nur oberflächlichen Lektüre des Alten wie des Neuen Testaments ergibt sich ein erschreckendes Bild der heterosexuellen Lebensweise. Einzelschicksale, durch Generationen weitergetragene Belastungen, aber auch Schicksale ganzer Völker werden durch die Schwierigkeiten heterosexuell liebender und lebender Menschen vor allem der Männer, bestimmt.

Genesis 16 + 21 schildern das Eifersuchtsdrama zwischen Hagar und Sarai (Sarah), das eine Dauerbelastung des Beziehungsdreiecks Sarai, Abram, Hagar bedeutet und schliesslich in der Vertreibung Hagars endet. Dabei sind von diesen Schwierigkeiten nicht allein die drei Urheber betroffen, sondern die nachwachsenden Söhne Isaak und Ismael werden in erschreckender Art und Weise mit davon betroffen. Für Hagar und Ismael bedeutet diese belastete und belastende Form heterosexueller Lebensweise fast den Tod durch Verdursten.

Genesis 34 schildert in eindrücklicher Weise, wie eine heterosexuelle Gewalttat, gekoppelt mit der Unfähigkeit des übrigen heterosexuellen Umfeldes, gewaltmindernd auf diese Konfliktsituation zu reagieren, in einem Blutbad endet. Die Vergewaltigung der Dina kostet die gesamte männliche Bevölkerung der Stadt Sichern ihr Leben.

Richter 14 + 15 schildern die Heirat Simsons mit einer Philisterfrau und deren Folgen. Diese unter Heterosexuellen bis heute weit verbreitete vertragliche Zwangsform der Bindung, unter den in der geschilderten Situation patriarchalen Bedingungen einseitig betrieben, sorgt für einen sich über Jahre ziehen den Kleinkrieg zwischen zwei Völkern. Er endet mit der Ausrottung der gesamten Führungsschicht und einem Blutbad an mehreren tausend Frauen und Männern der Philister, was auch durch den damit verbundenen Freitod des Urhebers der Streitigkeiten, Simsons, nicht weniger schrecklich wird.

2.Samuel 18, 17ff. schildert die Koppelung dieser heterosexuellen Bindungsform ‹Ehe› mit heterosexuell-männlichem Konkurrenzverhalten und deren Folgen. David heiratet Michal, Sauls Tochter. Die Ritualisierung dieser Form ‹Ehe› erlaubt es Saul, seine Angst vor Machtverlust an David in Gewalttat umzusetzen. Er verlangt von seinem Schwiegersohn als Brautpreis 100 Vorhäute des schon mehrmals betroffenen feindlichen Philistervolkes, in der Hoffnung, David möge bei der Beschaffung der Vorhäute sein Leben verlieren. David besteht jedoch diese – für Aussenstehende in ihrer sozialen Wirksamkeit und Akzeptanz nur schwer nachvollziehbare Machtprobe und besorgt die doppelte Menge der verlangten Vorhäute.

Dieselben Ursachen- männlich-heterosexueller Bindungswunsch in der Form der Ehe und männlich-heterosexuelles Konkurrenzverhalten – lassen denselben David weitere Opfer in Kauf nehmen. Sein Wunsch, die verheiratete Bathseba zu heiraten, lässt ihn seine Machtposition missbrauchen und ihren Ehemann, Uria, einen seiner Offiziere, in den sicheren Tod schicken (2. Samuel 11).

Genesis 19, der Untergang Sodoms und Gomorras, und Richter 19, die Schandtat von Gibea in Benjamin, schildern, wie heterosexuelle Männer sich homosexuell an anderen heterosexuellen Männern vergehen wollen. Sodom und Gomora werden bekannterweise dafür vernichtet und einzig Lot mit seinen Töchtern bleibt am Leben. Im Falle der Schandtat von Gibea sorgt eine Kette heterosexuellen Fehlverhaltens für letztendlich ca. 70.000 Tote. Den Männern von Gibea, die den fremden Leviten in ihrer Stadt vergewaltigen wollen, gibt dieser seine Nebenfrau. Am nächsten Morgen liegt die Frau missbraucht und physisch und psychisch zerstört vor der Tür. Anstatt ihr zu helfen, zerstückelt ihr Mann sie in 12 Teile und schickt diese an die Stämme Israels, um sie in einen Krieg gegen die Benjaminiten zu rufen. Dieser Krieg findet statt und fordert die Masse von ca. 70.000 Toten.

Auch in den Gesetzestexten des Alten Testaments schlägt sich diese Fülle der Problematik heterosexueller Lebensweise nieder. So in den Gesetzen zum Ehebruch, der mit Todesstrafe bedroht wird (Deuteronomium 22, 22), in den Gesetzen zur Heirat mit kriegsgefangenen Frauen (Dtm. 21, 10ff.) und in der Frage der Kindererziehung, einem Monopol bis heute Heterosexueller, wie z.B. der Todesstrafe für ungehorsame Söhne (Dtm. 27,18-27). Dabei ist augenfällig, dass die offensichtliche Unfähigkeit heterosexueller Männer zur monogamen Lebensweise völlig unproblematisiert vorausgesetzt und akzeptiert wird. Diese erschreckende Linie des Alten Testaments findet im Neuen Testament seine Fortsetzung und wird nur gebrochen durch Jesu hinterfragendes Reden und Handeln. Das soll an zwei Beispielen gezeigt werden.

Matthäus 4, 24ff. schildert Jesu Stellungnahme zur Frage von Ehe und Ehescheidung. Dabei wirft er diejenigen, die sich einer formalen Erfüllung des Ehegebots rühmen, zurück auf ihre menschliche Unmöglichkeit, den formalen Anspruch mit gelebter Realität zu füllen: «Wer eine Frau ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.» Das sollte allen eine Mahnung sein, die aus der formalen Einhaltung der Ehe einen moralischen Anspruch auf Höherbewertung ihrer Lebensform ableiten wollen. Auch muss es fraglich bleiben, ob Jesus die Ehe als höchste Erfüllung heteroxueller Lebensweise tatsächlich eingestuft hat. Jedenfalls hat er keine Bedenken gezeigt, seine Jünger aus der Lebensform herauszunehmen; und Lukas 4, 38ff. zeigt eindeutig, dass zumindest Petrus verheiratet war.

Schon diese beiden Beispiele zeigen ein doppeltes: Jesus hat deutliche Anfragen an heterosexuelle Lebensweise. Aber Jesus hat grundsätzlich nichts gegen Heterosexuelle. So lässt sich sagen, dass trotz des erschreckenden biblischen Befundes heterosexueller Lebensweise sich eine grundsätzliche Ablehnung der Heterosexualität biblisch nicht begründen lässt.

Was uns das Leben lehrt!

Heterosexualität ist die mit Abstand häufigsten vorkommende Form menschlicher Sexualität. Doch wie bei so vielem sollte auch hier kein voreiliger Schluss von der Quantität auf die Qualität gezogen werden. Die Fragen nach der Entstehung der Heterosexualität ist vielfach gestellt, jedoch bis heute nicht eindeutig beantwortet worden. Doch scheint sich für uns in dieser Fragestellung schon ein pejorativer Begriff von Heterosexualität auszudrücken. Denn die Frage nach ihrer Ursache ist zumeist gestellt in der Hoffnung auf ihre Beseitigung. Weiss man erst einmal, woher es kommt, weiss man auch, wie man es wegmachen kann. Mit einer solchen Haltung lässt sich aber nicht das Ziel verfolgen, Heterosexuellen zu erfüllten Lebensformen ihrer Sexualität zu verhelfen, die dann auch anderen Gruppen wie den Bi-, Homo- und Transsexuellen ein unbeschwertes Leben ihrer Sexualität möglich machen könnten. Handlungsbedarf gibt es dabei genug. 50 % Ehescheidung – die Ehe ist die bis heute häufigste Form der Partnerschaft unter Heterosexuellen -, eine Zahl von geschätzten 4 – 500.000 Prostituierten, Frauenhäuser in jeder Stadt, Vergewaltigungen an Frauen in nur geahnten Ausmassen, sexueller Missbrauch von Kindern (auch der an Jungen zu über 90 % von heterosexuellen Männern verübt), Krankheitsbilder wie Fress- und Magersucht, die zu über 60 % auf sexuellen Missbrauch zurückgehen, zeugen eher von einem Vegetieren der heterosexuellen Lebensform als einem Leben. Da sich an all diesen Dingen leicht aufweisen lässt, wie konstitutionelle Heterosexualität und soziale Missstände sich gegenseitig bedingen, bleibt eine Selbstverständlichkeit unserer sozialen Lebensweise unverständlich. Das biologische Monopol der Fortpflanzung zieht das soziale Monopol der Erziehung für die Heterosexuellen nach sich. Berücksichtigt man weiterhin, dass ca. 60 % der – fast ausschliesslich – heterosexuellen Männer, die zu sexuellen Gewalttätern werden, in ihrer Kindheit selbst Oper sexuellen Missbrauchs waren, und zwar zumeist Opfer von heterosexuellen Männern aus ihrem direkten Lebensumfeld, dann wird die Spiralwirkung der Gewalt dieser eingleisigen Festlegung deutlich.

Es lässt sich also sagen, dass die quantitative Überlegenheit der Heterosexualität, gepaart mit ihrer häufigsten Lebensform, der Ehe in dem bei uns üblichen zwanghaften Verständnis, gepaart mit der patriarchalen Struktur unserer Gesellschaft, die alle sexuellen Lebensformen umgreift, dafür sorgen, dass soziale Missstände, die sich aus falscher Lebensweise konstitutioneller Sexualität ergeben, weiter und weiter tradiert werden. werden. Dabei sorgt dann eben die quantitative Überlegenheit der Heterosexuellen dafür, dass vor allem die Missstände heterosexueller Lebensweise sich in Masse und Gewalt am stärksten fortsetzen. Ein äusserer Druck, hiervon abzukehren, könnte sich daraus ergeben, dass der Fortpflanzungsfanatismus der Heterosexuellen zu einer immer grösseren Bedrohung unseres Überlebens auf der Erde überhaupt wird. So sollte es möglichst bald dazu kommen, dass ein fruchtbarer Austausch über Lebensformen von Sexualität stattfindet.

Ein Versuch der Versöhnung

1. Johannes 4, 16b: ‹Gott ist Liebe; wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott, und Gott lebt in ihm.› In diesem Vers wird von Liebe gesprochen, ohne sie formal zu binden. Das sollte uns Massstab für unser Zusammenleben werden. Der Wert von Liebe bestimmt das Mass der Liebe, das zwischen Menschen ausgetauscht wird, nicht die Form, in der sie stattfindet.

Diese Freiheit sollten wir uns gegenseitig schenken. Dann schwindet auch die Angst, für Formverletzung mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft zu werden. Es ist eine Angst, die nur entstehen kann, weil Menschen lieblos miteinander umgehen: ‹Die Liebe kennt keine Angst. Wahre Liebe vertreibt die Angst.› (V. 18a) Wahre Liebe will nämlich liebhaben, nicht recht haben. Deshalb sollte sie sich vor formaler Rechtfertigung hüten. Gott wird auch nie auf der Seite einer solchen formalen Rechtfertigung sein, denn er hat sich immer dagegen gewehrt, sich in eine Form, ein Bild, eine Gestalt, eine Ordnung pressen zu lassen. Wenn wir ihn haben wollen, können wir ihn nur in liebende Annahme der anderen, auch der Andersartigen haben: «Niemand hat Gott je gesehen, aber wenn wir einander lieben, lebt Gott in uns. Dann erreicht seine Liebe bei uns ihr Ziel.» (V. 12)

Jörg Wolke